Die Saison beginnt….für die, die es geschafft haben

Wie oft gehen wir im Sommer spazieren und sehen an jedem zweiten Teich, See oder Flussufer, Schildkröten in der Sonne sitzen .
Sie recken ihre Köpfe heraus und ihre Beinchen sind weit ausgestreckt, um nur jeden Sonnenstrahl erwischen zu können.
Ein friedlicher und wunderschöner Anblick.
Kommt man ihnen zu nahe, springen sie mit Turboantrieb ins Wasser oder lassen sich ganz einfach vom Ast rutschen.
Oder es ragen kleine Nasen aus dem Wasser, die hier verschwinden und dort wieder auftauchen.

Aber wie kommen diese Tiere eigentlich hierher?
Schildkröten in Deutschland?
Egal…es scheint ihnen ja gut zu gehen und das ist das Wichtigste.

Vielleicht denkt der eine oder andere an seine eigen Wasserschildkröte zuhause, die vielleicht schon lange in einem viel zu kleinen Aquarium sitzt
und das schlechte Gewissen drückt schon seit langer Zeit.
Beim Anblick dieser possierlichen Tierchen wird der Gedanke geboren, auch das eigene Tier in diese wundervolle Freiheit zu entlassen.
Das einst geliebte 5 Markstück kleine Tier ist in den Jahren zu einer echten Matrone herangewachsen.
Das Wasser ist trotz Pumpe ständig schmutzig und müffelt den ganzen Raum voll.
Das Tier dümpelt nun in einem viel zu kleinen Becken vor sich hin und die Liebe zu dem Tier schrumpft von Tag zu Tag.

Kurzum, die Entscheidung ist getroffen und die Schildkröte wird in diese verheißungsvolle Freiheit entlassen.
Ab hier nimmt das Drama seinen Lauf…..

Es gibt 4 Hauptthemen, die diese Problematik beschreiben.

 

1. Was habe ich eigentlich für eine Schildkröte?
Ist die Schildkröte von ihrer Art und ihrem Herkunftsgebiet überhaupt in der Lage
den mitteleuropäischen Jahresrhythmus mit den niedrigen Wintertemperaturen durchzustehen?
Oder kommt sie vielleicht aus einem Gebiet, wie z.B. Florida, wo das ganze Jahr warme Temperaturen herrschen?
In diesem Fall ist oft schon der erste Winter tödlich.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Halter gar nicht wissen, was für ein Tier sie zuhause pflegen
und die sehr unterschiedlichen Haltungsansprüche sind den Haltern nicht klar.
Die Tiere verenden in einem langen, qualvollen Prozess, den der Spaziergänger nicht erahnt.
Schildkröten schleppen sich noch auf eine Wurzel, wenn sie schon halb tot sind.
Der Instinkt, Sonne tanken zu müssen um letztlich fressen und verstoffwechseln zu können- also der Selbsterhaltungstrieb
ist so stark ausgeprägt, dass sie erst nicht mehr zu sehen sind, wenn sie tatsächlich tot sind.
Was so niedlich aussieht, ist für die meisten Schildkröten ein harter Überlebenskampf.

 

2. Immunsystem

In der Regel werden Schildkröten ausgesetzt, die ihr ganzes Leben in Leitungswasser in Trinkqualität verbracht haben.

Jetzt kommt die große Freiheit mit einer Flut an Bakterien, mit der die meisten Tiere überhaupt nicht klar kommen.

Die Folge sind bakterielle Hauterkrankungen, mit anschließenden Sepsen, Nekrosen, die schon durch winzige Eintrittspforten entstehen können,

Pilze, Erkrankungen des Verdauungsapparates und etliches mehr.

 

3. Nasskaltes Wetter

Die schwierigsten Zeiten für die ausgesetzten Schildkröten sind der Frühling und bedingt auch der Herbst.
Wochenlanges Schmuddelwetter mit wechselhaften Temperaturen zwischen Sonne und Eiseskälte gehen den Tieren massiv an die Substanz.
Nachdem die ersten Sonnenstrahlen sich gezeigt haben und sich die Lichtverhältnisse geändert haben, kommen die ersten kleinen Nasen zum Vorschein
und kurz darauf sitzen die Tiere wieder auf den Ästen, um die lebenswichtige Sonne zu tanken.
Ihr Bemühen, sich als wechselwarme Tiere so schnell wie möglich auf ihre Vorzugstemperatur zu bringen, ist ein nicht veränderbarer Instinkt.
Genau hier ist der Knackpunkt, denn der Winter und das nasskalte Wetter sind noch gar nicht vorbei.
Jetzt sind die Tiere wach und hängen nach diesen trügerischen Sonnenstrahlen zuweilen wieder bei Temperaturen, Nahe des Gefrierpunktes,
bei Eiseskälte und kaltem Wind im Wasser.
Erkältungskrankheiten wie Lungenentzündungen, Mittelohrentzündungen mit zuweilen riesigen, schmerzhaften Eiteransammlungen
führen in der Regel über einen längeren Zeitraum zu einem qualvollen Tod.

 

4. Hunger

Je nachdem in welches Gewässer die Schildkröte entlassen wird, kommt noch ein Ernährungsproblem dazu.
In Gewässern mit natürlichen Uferzonen haben die Tiere die Möglichkeit sich von Libellenlarven oder vielleicht sogar
von einem Fischbestand und anderem Getier zu ernähren.
Dies ist aber leider nicht immer der Fall.
Hunger und Unterernährung schwächen die Tiere und machen sie noch anfälliger für Krankheiten oder sie verhungern gar.

Anstoß zu diesem Post hat die stark vermehrte Abgabe von gefundenen Wasserschildkröten gegeben,
von denen nicht wenige die Tortur nicht überlebt haben.

😓Wie traurig 😓

Das Fressen von Kaulquappen etc. durch ausgesetzte Wasserschildkröten kann theoretisch auch für
zahlreiche Amphibienarten zum Problem werden – oder anderen heimischen Tieren (z. B. die
Europäische Sumpfschildkröte) fehlt plötzlich dieses wichtige Futterquelle.

5. Prädatoren und andere Gefahren

Prädatoren, also Fressfeinde, gibt es in der Schildkrötenhaltung genug. Da wird jeder Halter bereits
so seine eigenen Erfahrungen gemacht haben. Ohne Schutz können daher Schildkröten (egal ob in
der Haltung oder ausgesetzt) schnell zum Opfer verschiedener anderer Tiere werden. Auch diese Art
und Weise verschwinden manchmal ausgesetzte Wasserschildkröten still und heimlich.

Jeder Halter kennt die Kletterfreudigkeit bzw. Geschicklichkeiten von Wasserschildkröten, was die
körperliche Fitness anbelangt. Von daher ist es absolut wichtig, dass jeder Gartenteich etc. so gut wie
möglich abgesichert ist. Bei ausgesetzten Schildkröten ist das anders. Hier kann der Autoverkehr
zusätzlich ein Problem darstellen und vor allem zur Paarungs- und Eiablagezeit für so manches
Straßenopfer sorgen.

Auch das bereits zuvor genannte Ablassen des Wassers kann zum Problem werden. Bei künstlich
angelegten Seen (gerade in Stadtparks) besteht die Gefahr, dass bei der regelmäßigen Entleerung (zu
Reinigungszwecken oder um Reparaturarbeiten durchzuführen) vor allem in den Wintermonaten so
manche starrende Schildkröte stören kann etc. (theoretisch wäre solch eine Reinigungsarbeit
geeignet, um genau diese Schildkröten einzufangen; in der Praxis gestaltet sich dies aber sehr
kompliziert).

6. Gesetzliche Regelungen

Ein nicht unwichtiger Punkt, der in der Aufzählung abschließend genannt werden soll, ist, dass das
Aussetzen von Schildkröten eine Straftat darstellt. Das hindert leider manche nicht wirklich daran, ein
Tier auszusetzen. Spätestens aber die Hinweise auf Artenverfälschung (Eingriff in die Biodiversität
etc.), Gefährdung bzw. den in Kaufgenommenen Tod der ausgesetzten Schildkröten etc., sollte aber
jeden Halter überzeugen, weitsichtig und verantwortungsvoll zu handeln.

Welche Schildkrötenarten sind besonders betroffen?

Zu den häufigsten Schildkröten, die ausgesetzt in Teich, Tümpel, See oder Flussufer vorzufinden sind,
zählen wohl Gelbwangen-Schmuckschildkröten (Trachemys scripta scripta), Rotwangen-
Schmuckschildkröten (Trachemys scripta elegans) und die Hieroglyphen-Schmuckschildkröten
(Pseudemys concinna concinna). Auch der Artkomplex der Höckerschildkröten (Graptemys) ist weit
verbreitet. In wie weit sich auch die Gewöhnliche Moschusschildkröte (Sternotherus odoratus) in
nächster Zeit in der Natur blicken lässt (aufgrund einer Hochstufung der Weltartenkonferenz in
Panama) bleibt abzuwarten.

Was tun, wenn man seine Schildkröte abgeben möchte?

Je nach Art (bzw. Schutzstatus) sollte man sich entweder an die zuständige Behörde wenden
und/oder den Kontakt zu einer Auffangstation etc. suchen. Das soll nicht bedeuten, dass man das
eigene Problem der Abgabe an die sowieso schon sehr überfüllten Auffangstationen verlagert,
sondern dass ggf. im persönlichen Gespräch Möglichkeiten der Abgabe besprochen werden.
Was tun, wenn man eine freilebende Schildkröte in einem Tümpel, See etc. sieht?
Zunächst wäre wichtig zu wissen, um welche Schildkrötenart es sich tatsächlich handelt. So manche
heimische Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) wurde nämlich schon eingefangen – und
plötlich war der eigentlich gute vorhandene Natur- und Tierschutzgedanke doch nicht so glücklich.
Inzwischen manchen die meisten Mobil-Telefone hervorragende Fotos (sogar ein wenig
herangezoomte Fotos zeigen eine gute Qualität), so dass man zunächst das Tier fotografieren sollte.
Dann lässt sich via Kontakt zu Schildkrötenfreunden, Vereinen etc. schnell die entsprechende Art
bestimmen und das Handeln besprechen.

Was tun, wenn man eine freilebende Schildkröte findet?

Vor allem zur Zeit der Paarung im Frühjahr bzw. Eiablage gehen manche Wasserschildkröten auf
Wanderzug und werden aufgefunden. Hier sollte man das Tier zunächst sichern (vgl. Hinweis zur ggf.

heimischen Europäischen Sumpfschildkröte) und dann den Kontakt zu Schildkrötenhaltern, Vereinen,
Behörden etc. suchen, um individuell korrekt handeln zu können.

Abschließende Bemerkung

Der Anstoß zu diesem Artikel hat die stark vermehrte Abgabe von gefundenen Wasserschildkröten
gegeben, von denen nicht wenige die Tortur nicht überlebt haben. Es ist sehr kompliziert, allgemein
gültige Informationen und Hinweise zu geben, wenn eine Schildkröte abgegeben werden soll oder
gefunden wurde. Bitte haben Sie daher Verständnis, dass wir uns in diesem Artikel daher „recht
allgemeingültig“ halten und daher den persönlichen Kontakt zu Fachleuten raten.

Autoren

Gudrun Braukmann
Schildkrötenhilfe Witten e. V.

E-Mail: info@schildkroetenhilfe-witten.de
www.schildkroetenhilfe-witten.de
Thorsten Geier
thorstengeier@kleintierverlag.de
www.schildkroetenfreund.de